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Die ev. Kirchengemeinde in Belgrad

Am 2. Februar 2008 fand in der Kirche Zemun, Tošin bunar 2, um 10 Uhr ein Gottesdienst zur Einführung des Gemeindekirchenrats der Deutschen Evangelischen Gemeinde Belgrad - Zemun durch Oberkirchenrat M. Hübner, EKD Hannover, statt. Dieter Tunkel
Gottesdienst in Semlin
Es ist Sonntagmorgen, kurz vor 10 Uhr. Jörg und Rainer bauen den Altar in der Mitte des Raumes auf, Herr P. schleppt das Stehpult herein, Frau L. reinigt die Tische und Bänke. Margit wird die neue Altardecke mitbringen, Barbara die Altarbibel (gestiftet von ihrer Heimatgemeinde in Deutschland) und Helmut, der Militärattache an der Deutschen Botschaft in Belgrad, das Holzkreuz. Siggi hat wieder den Blumenschmuck besorgt.
Nach und nach kommen die Gottesdienstbesucher in die Rundkirche im Belgrader Stadtteil Zemun (ehedem Semlin), in dem heute weit über 200.000 Menschen leben. Das Ehepaar v. K. mit seinen drei kleinen Buben haben Besuch aus Deutschland mitgebracht, Franziska fragt, ob denn heute wieder Kindergottesdienst sei und Marko Stjepan ist sehr stolz, als er uns seinen Taufschein zeigt. Er ist am 18. März 1940 in dieser deutschen, evangelischen Kirche zu Zemun von dem damals amtierenden Pfarrer Martin Haas getauft worden. In den Kriegs- und Nachkriegsjahren musste sie seine Mutter Magdalene verstecken.
Kurz nach halb Elf beginnt Jörg auf dem Keyboard ein Präludium von J. S. Bach zu spielen, begleitet von Arne Hartig auf der Querflöte, dem Referenten für Kultur und Presse an der Deutschen Botschaft in Belgrad. Pfarrer Dieter Schupp begrüßt die Gemeinde: Etwa 50 bis 60 Personen, darunter ca. 14 Kinder. Auch einige Serben haben sich eingefunden und Leute aus der evangelischen slowakischen Gemeinde. Es singt der Chor „Geh aus mein Herz und suche Freud“. Heute sind es fünf Männer und vier Frauen und es dirigiert Arne Hartig. Nach den Gottesdiensten läuft die Gemeinde nicht auseinander. Einmal trifft man sich wieder in einer Privatwohnung, ein anderes Mal bringen die Leute all' das mit, was zu einem Kirchen-Kaffe gehört und man bleibt in dem die Kirche umgebenden Garten oder man nimmt gemeinsam im 10 km entfernten „Diplomaten-Club“ einen vorzüglichen Sonntagsbrunch ein. Übrigens finden dort monatlich verschiedene Gemeindeveranstaltungen statt, die von Gemeindemitgliedern gestaltet werden. Anzumerken sei, dass die Gemeinde gemeinsam sowohl mit den Mitgliedern der ev. slowakischen Kirche einen Gottesdienst feierte als auch einen ökumenischen mit dem Pfarrer der römisch-katholischen Christkönig-Kirche Belgrad. Und zum nächsten Gottesdienst hat sich der „Verein der Deutschen im ehemaligen Jugoslawien“ mit der Vorsitzenden Johanna Bukovac aus dem entfernten Padinska Skela angesagt.
Es gibt also wieder regelmäßig evangelische Gottesdienste in dieser Kirche, seitdem die EKD mit Sitz in Hannover im Jahre 2005 Pfarrer aus Deutschland damit beauftragte. Das Gebäude in Zemun ist in den 20-er Jahren des vorigen Jahrhunderts von Deutschen erbaut worden. Hier wurden Kinder getauft, Brautpaare getraut und zu Gottesdiensten eingeladen bis zum Jahre 1944. Die Kirche wurde rund fünfzig Jahre lang zweckentfremdet benutzt, zuletzt als eine Disco, bis die Serbische Regierung am 1. Dezember 2005 einen 2-seitigen Beschluss fasste, wobei die „Evangelische Kirche in Zemun zum Kulturdenkmal ernannt“ wurde, u. a. mit der Auflage, dass „das Bauwerk wieder seinem authentischen sakralen Verwendungszweck zuzuführen ist.“ Nunmehr ist auch die Restitution der beiden Kirchen (es gibt im Stadtzentrum Belgrads eine weitere ehemalige evangelische Kirche, in der sich heute ein sehr modernes Theater befindet) samt den Grundflächen auf den Weg gebracht worden, wobei uns die serbische Denkmalschutzbehörde sehr behilflich war.
Es gibt noch genug ältere Leute in Zemun, die sich daran erinnern können, dass hier einmal evangelische deutsche Christen ihren geistlichen Mittelpunkt hatten. Allerdings wissen viele von ihnen jedoch mit dem Begriff „evangelisch“ weniger anzufangen als mit dem Begriff „protestantisch“. Und außerdem gibt es hier Leute, gar nicht so wenige, die der Meinung sind, das Gebäude in der Tosin-Bunar-Straße Nr. 2 sei früher eine Synagoge gewesen. Dieser Tage bekam ich einen Brief eines serbischen Professors, in dem es u. a. heißt: „Ihre Mitarbeit könnte uns weiterhelfen im Bereich der sog. Erinnerungskultur. Beide Völker haben sich nämlich an dem jeweils anderen arg versündigt... Wobei Sie sich ein bisschen einlesen sollten im Bereich Genozid an den Jugoslawiendeutschen unter Tito. Weder hierzulande noch bei Ihnen zu Hause weiß man, was man sich hierzulande alles an Gräueltaten gegenüber der deutschstämmigen Bevölkerung 1944 – 1948 erlaubte ... Man weiß außerdem aber auch bei Ihnen zu wenig darüber, was die deutsche Besatzungsmacht sich hier so erlaubte in den Jahren ihrer Triumphe ...“.
Fast alle Mitglieder unserer „Deutschsprachigen, evangelischen Gemeinde in Belgrad“, die sich im wesentlichen mit ihren Familien aus Mitarbeitern der Deutschen Botschaft zusammensetzt, der hiesigen „Deutschen Schule“, Banken, Europäischen Organisationen und der rund 160 deutschen, hier ansässigen Firmen, aber auch aus einigen Frauen, die vor dreißig und mehr Jahren hierher heirateten, haben manchen Serben schon sagen hören: „Wir sind das meistverachtete Volk der Welt.“ Sie können aber auch aus eigener Erfahrung bestätigen, dass unsere Gastgeber hier auf dem Balkan im Allgemeinen ausgesprochen deutschfreundlich sind. Und wir uns als Gäste in diesem gastfreundlichen Land wohl und sicher fühlen. Doch immer mehr, hauptsächlich jüngere Leute, beschäftigt weniger die Vergangenheit von Tito bis Milosevic, denn sie haben mit der Gegenwart genug zu tun. So sagte ein 17-jähriges Mädchen: „Das Vergangene ist noch längst nicht vergangen, aber es ist nicht unsere Vergangenheit. Was meine Generation will, ist, dass auch wir endlich gut, glücklich und in Frieden leben können. Und es wäre wichtig und schön, wenn uns Deutschland und andere europäische Nationen dabei helfen würden.“
So wollen wir, die „Deutschsprachige evangelische Gemeinde in Belgrad“ unseren Beitrag dazu leisten, dass sich nicht nur unsere guten Kontakte z. B. zur Orthodoxen Kirche, sondern auch zu anderen christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften stabilisieren und dass der Wunsch des 17-jährigen Mädchens sich bewahrheitet und Wirklichkeit wird. Und wir Deutsche zu guten Freunden dieses so schönen Landes werden.
Dieter Schupp, einst als Pfarrer in der Pfälzischen Landeskirche tätig,
zuletzt an der Apostelkirche Kaiserslautern, hier seit April 2006 bis 31. Juli 2007.
Erster Bericht eines deutschen
protestantischen Pfarrers in Belgrad
Seit Oktober 2005 sind meine Frau und ich in Belgrad mit dem Auftrag des kirchlichen Außenamts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die kirchliche Situation in Belgrad und Serbien zu untersuchen mit dem Hintergrund der eventuellen Einrichtung einer dauerhaften seelsorgerlichen Betreuung protestantischer Deutscher oder Deutschsprechender in dieser Region.
Ich bin Pfarrer im Ruhestand und habe die letzten 37 Jahre im Auftrag meiner Kirche in Jerusalem/Israel zugebracht. Die Gemeinde in Jerusalem hat mich in einem Gottesdienst im September letzten Jahres feierlich nach Belgrad entsandt. Zuerst ging es darum, die kirchliche und interreligiöse Situation in Belgrad und Serbien kennen zu lernen. Hierbei waren die Konrad-Adenauer-Stiftung Belgrad und die Deutsche Botschaft in Belgrad besonders behilflich. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat unter der Leitung des Leiters Dr. Lamers eine Reihe Veranstaltungen durchgeführt, bei denen wir eine erste gute Kenntnis der religiösen Situation vermittelt bekamen. Die beiden MitarbeiterInnen, Jelena Jablanov-Maksimovic und Saša Hadžiahmetivic waren in der Anfangsphase unseres Aufenthaltes intensiv um uns bemüht. Die Deutsche Botschaft stellte ihren Kenner der religiösen Verhältnisse in Serbien, den orthodoxen Theologen Živica Tucic zur Verfügung, der mir zahllose Begegnungen beim orthodoxen Patriarchen, dem Mufti und dem Rabbi von Belgrad, den Häuptern der verschiedensten Kirchengemeinschaften, dem katholischen Erzbischof in Belgrad, sowie dem reformierten und lutherischen Bischof, beide in der Vojvodina, ermöglichte. Auch die Vertreter der Freikirchen, Baptisten, Adventisten und anderen lernte ich kennen.
Der erste Gottesdienst fand am 3. Advent 2005 im Goethe-Institut mit über 40 Besuchern statt. Allgemein freute man sich, endlich einen deutschen Pfarrer zu haben. In der deutschen Schule bekam ich eine Unterrichtseinheit in der 9. und 10. Klasse, Thema: Der interreligiöse Dialog, ein Thema auch aktuell im ehemaligen Jugoslawien. Zusammen mit der slowakisch lutherischen Gemeinde veranstalteten wir einen Weihnachtsgottesdienst in der Kirche von Zemun/Semlin, die die Slowaken seit zwei Jahren benutzen dürfen. Danach beschlossen wir, hier künftig die Gottesdienste abzuhalten. Der erste fand im Januar statt mit 20 Gottesdienstbesuchern, der nächste am 19. Februar und der vorerst letzte am 19. März. Inzwischen hatte ich deutsche Gottesdienste am 5. Februar in der reformierten Gemeinde in Novi Sad, am 5. März in der lutherischen Kirche in Novi Sad und der vorerst letzte am 2. April gehalten.
Jedenfalls ist deutlich, dass es mehr Deutsche in der Vojvodina gibt, als ich angenommen hatte. Es gibt aber keinen protestantischen Pfarrer aus dieser Gruppe der Donauschwaben, nur eine katholischen, Jakob Pfeifer aus Odžaci/Hodschag, der auch Priester in Apatin ist und dort Gottesdienst u. a. in Deutsch hält. Bei einem Besuch bei ihm machte es den Eindruck, als freue er sich über die Präsenz eines evangelischen Kollegen. Deutsche Gottesdienste soll es auch noch in Verbas und in Subotica geben, allerdings nicht regelmäßig. Noch einige Worte zur Kirche in Zemun/Semlin und zu den protestantischen Gemeinden in Belgrad. Die Kirche in Zemun ist zurzeit die einzige protestantische Kirche im Raum Belgrad. Die Stadtkirche in Belgrad selbst, ebenfalls eine ehemalige deutsche Kirche, ist von einem renommierten Theater, Bitlef, besetzt. Zur Benutzung bleibt so nur die Kirche in Zemun. Hier trifft sich die slowakisch lutherische Kirche, der Gottesdienst ist in Slowakisch, zumindest ein Deutscher beteiligt sich regelmäßig an den Gottesdiensten, obwohl sein Slowakisch sehr schlecht ist. Die Kirche gehört der Stadt Belgrad und wurde unter Denkmalschutz gestellt.
Der slowakisch-lutherische Bischof schätzt die Instandsetzung der Kirche in Zemun auf 30.000 Euro, mit denen er einen langfristigen Vertrag mit der Stadt erreichen könnte. Protestantische Gottesdienste gibt es im Raum Belgrad sonst noch in ungarischer Sprache (reformiert) in einem Wohnhaus im 5. Stock und in einer katholischen Kirche gibt es anglikanische Gottesdienste. Es wäre wünschenswert, wenn es gelingen würde, die Kirche in Zemun zurückzubekommen und zu renovieren und allen Protestanten zur Benutzung zur Verfügung zu stellen. Wenn dann entschieden werden sollte, einen deutschen Pfarrer auf Pensionärsbasis wie in Sofia nach Belgrad zu schicken, könnte hier auch die deutsch sprechende Gemeinde angesiedelt werden. Für die Einrichtung einer solchen Stelle gibt es meiner Ansicht nach inzwischen genügend gute Gründe. Rev. Dr. Michael Krupp
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